Axel Schulz über Finnland: „Eines der innovativsten Länder der Welt“

Real I.S. hat mit dem Kauf einer Büroimmobilie in Helsinki erstmals in Finnland investiert. Axel Schulz, Global Head of Investment bei Real I.S., spricht im Interview über die Transaktion, die Chancen des finnischen Gewerbeimmobilienmarktes sowie die wirtschaftlichen Perspektiven am nordöstlichen Rand Europas.

Herr Schulz, warum setzt Real I.S. beim Einstieg in den nordischen Markt auf Finnland?

Alle nordischen Länder zeichnen sich durch ein stabiles politisches Umfeld, gesunde Staatsfinanzen und geringe strukturelle Risiken aus. Finnland hat darüber hinaus den Vorteil, zum Euro-Währungsraum zu gehören. Zudem ist das Land in vielerlei Hinsicht sehr interessant: Es gibt zwar nur einen kleinen, dafür aber sehr transparenten Immobilienmarkt, der so stabil ist, dass das S&P-Länderrating ihn mit AA+ bewertet. Man darf dabei nicht außer Acht lassen, dass die finnische Wirtschaft in den vergangenen Jahrzehnten einen tiefgreifenden Strukturwandel durchgemacht hat. Binnen 50 Jahren ist aus einer Agrarnation eine Dienstleistungsgesellschaft geworden.

Inzwischen arbeiten fast zwei Drittel der Beschäftigten im Dienstleistungssektor...

So ist es. Im vergangenen Jahr trug die Landwirtschaft nur noch rund 2,5 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt Finnlands bei, die Industrie rund 24 Prozent und der Dienstleistungssektor mehr als 60 Prozent. Laut DESI, dem Index für die digitale Wirtschaft und Gesellschaft, steht Finnland bei der Qualifizierung der Arbeitnehmer auf Platz 1 und nimmt Platz 2 ein, wenn es um den Grad der Digitalisierung in Europa geht. Finnland gehört zu den kreativsten Cleantech-Nationen der Welt und führt laut der Consumer Technology Association die Liste der innovativsten Länder der Welt an. In Helsinki hat sich ein Start-up-Ökosystem entwickelt, das längst zu den internationalen Hotspots für Firmengründer aus der ganzen Welt gehört. Finnische Start-ups erhalten prozentual das meiste Risikokapital in Europa. Das alles zeigt, wie viel Potenzial das Land bietet.

Eine Erfolgsgeschichte, die durch Corona nicht umgeschrieben werden muss?

Auch Finnlands Wirtschaft hat unter Corona gelitten. Aber im europäischen Vergleich hat das Land deutlich geringere Einbrüche erlebt. Die COVID-19-Fallzahlen waren niedrig, was auch zu geringen Einschränkungen geführt hat. Daher hielten sich auch die wirtschaftlichen Auswirkungen in Grenzen. Das Bruttoinlandsprodukt sank laut Statistikamt des Landes zwar real um 2,8 Prozent, konnte sich aber bereits im dritten Quartal 2020 wieder erholen. Für das laufende Jahr liegt die Prognose für das BIP-Wachstum bei 2,6 bis 3,0 Prozent. Das Vorkrisenniveau soll Finnland bereits Ende 2021 oder Anfang 2022 erreichen.

Wenn wir von Finnlands Wirtschaft und den wichtigsten Standorten sprechen, dann ist damit das Dreieck Helsinki-Tampere-Turku in Südwesten gemeint. Käme für die Real I.S. auch ein Investitionsstandort außerhalb von Helsinki in Frage?

Helsinki ist als Landeshauptstadt und wirtschaftliches Zentrum Finnlands ein guter Ausgangspunkt für Investments. Mit dem Ankauf im Stadtteil Töölö haben wir uns eine moderne und voll vermietete Immobilie in zentraler Lage gesichert und damit einen erfolgreichen Markteintritt in Finnland geschafft.

Der Büromarkt Helsinki weist immer noch eine relativ hohe Leerstandsquote von 12,7 Prozent auf. Das ist der Stand vom ersten Quartal 2021.

Das ist richtig, aber der Markt in Helsinki bietet gegenüber den deutschen Großstädten einen interessanten Rendite-Pick-up von etwa 50 bis 75 Basispunkten. Die Attraktivität des Marktes spiegelt sich auch in der Spanne der Nettoanfangsrendite für erstklassige Büroflächen von derzeit etwa 3,5 Prozent zum risikofreien Zinssatz einer finnischen Staatsanleihe mit zehnjähriger Laufzeit von derzeit -0,2 Prozent wider. Darüber hinaus ist die Entwicklungspipeline für den Büromarkt in Helsinki im Vergleich zu anderen europäischen Großstädten erheblich kleiner. Wir erwarten, dass die Spitzenmiete nach einer Seitwärtsbewegung im Jahr 2021 wieder vom kommenden Jahr an um durchschnittlich rund zwei Prozent jährlich steigen wird.

Der Verkäufer der Büroimmobilie in Helsinki sagt, dass die Immobilie wie eine zweite Haut zu Real I.S. passt. Wie ist das zu verstehen?

Das Bürogebäude, das wir für den Immobilien-Spezial-AIF „BGV VIII Europa“ vom niederländischen Entwickler RED Concepts erworben haben, ist eine historische Immobilie im Stadtteil Töölö nahe dem Central Business District von Helsinki. Das Büroobjekt profitiert von seiner sehr guten Anbindung und Erreichbarkeit durch mehrere Straßenbahn- und Bushaltestellen in direkter Umgebung. Der Hauptbahnhof befindet sich nur knapp zehn Fußminuten entfernt von der Immobilie, ebenso wie zahlreiche Restaurants und Einkaufsmöglichkeiten. Die Immobilie wurde in den Jahren 2020/2021 vollumfänglich nach modernen Standards von RED Concepts passgenau für den neuen Mieter Sulake, einen Entwickler von Videospielen und digitaler Werbung, saniert – und zwar so, dass sie die finnische Kultur mit den Anforderungen an Hochtechnologie, modernes Interieur und charakteristische Architektur des Gebäudes miteinander vereint. So wurde beispielsweise das ursprüngliche Mauerwerk beibehalten, aber alle 150 Fenster erneuert. Außerdem sind solche nachhaltigen Aspekte nicht nur im Gebäude selbst verankert, sondern auch bei den Arbeitsplätzen, die nicht nur der eigenen Belegschaft, sondern auch kreativen Köpfe anderer Start-up-Unternehmen im Gaming-Bereich angeboten werden. Das alles entspricht sehr gut unserem Verständnis von Qualität und Nachhaltigkeit.

Der erste Abschluss in Finnland hat mehr als ein Jahr Vorbereitungszeit erfordert. Wie lange wird es bis zum zweiten Abschluss dauern?

Wir haben keinen festen Plan und müssen keinen bestimmten Betrag innerhalb eines bestimmten Zeitraums in Finnland investieren. Das verschafft uns den Vorteil, dass wir allein auf Basis der sich bietenden Chancen agieren können. Allerdings haben wir diese Akquisition natürlich nicht getätigt, um nur eine einzelne Anlage in Helsinki zu haben. Langfristig stellen wir es uns das ähnlich vor wie in Irland, wo wir mit einer ersten Akquisition klein angefangen haben, die auch einige Zeit in Anspruch genommen hatte, aber danach schnell wachsen konnten. Am liebsten würden wir jedes Jahr spannende Deal-Meldungen aus Finnland versenden.

Liegt Ihr Fokus weiterhin auf Büroimmobilien?

Unser derzeitiger Fokus liegt zwar auf dem Büromarkt von Helsinki, aber wir suchen auch nach Möglichkeiten in anderen Sektoren wie beispielsweise Logistik und Wohnen. Da werden möglicherweise auch andere Standorte in Frage kommen – vor allem im Bereich Logistik. Wir müssen da unsere Hausaufgaben machen, um die interessantesten Logistik-Hubs finden.