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Ressourcenschonendes Bauen – das größte Potenzial bietet der Bestand

Giulia Peretti, Nachhaltigkeitsbeauftragte der Real I.S. AG

Die Immobilienbranche steht vor einem großen Handlungsdruck. Schließlich hat sie eine Schlüsselrolle beim Erreichen der Pariser Klimaziele, denn mehr als ein Drittel der Treibhausgasemissionen und rund 40 Prozent des Energieverbrauchs in der Europäischen Union entfallen auf Gebäude. Beim Neubau sind hohe energetische Standards bereits der Normalzustand. Die größten Herausforderungen liegen im Bestand. Der Deutschen Energie-Agentur (dena) zufolge wurden etwa drei Viertel des Altbaubestands in Deutschland vor dem Inkrafttreten der ersten Wärmeschutzverordnung im Jahr 1979 errichtet und viele dieser Gebäude sind bis heute gar nicht oder kaum energetisch saniert. [1] Entsprechend groß sind die Potenziale in der Steigerung der Energieeffizienz sowie Emissionsreduzierung.

Es gibt es noch viel unterschätztes Potenzial, im Bestand energieeffizientes und ressourcenschonendes Bauen zu verbinden, also bestehende Gebäude energetisch zu sanieren und gleichzeitig im Sinne der Kreislaufwirtschaft an moderne Bedürfnisse anzupassen, statt neu zu bauen. Dieses Gebäude-Upcycling verlangt zwar viel Know-how, Planung und Kreativität, ist aber eine zukunftsfähige Lösung für die Steigerung der energetischen Qualität einer bereits vorhandenen Immobilie und des Komforts für die Nutzer beziehungsweise für neue Nutzungsmöglichkeiten mit bereits existierender Gebäudesubstanz. Nicht zu vernachlässigen ist der gesellschaftliche Mehrwert, wenn im Vergleich zum Neubau Rohstoffe und Emissionen eingespart, keine neuen Flächen versiegelt und Bestandsimmobilien für neue Funktionen upgecycelt werden und somit geänderten Nutzungsanforderungen gerecht werden.

 

Transformation des Bestands notwendig, um Emissionen und Ressourcen zu sparen

Dabei ist die energetische Sanierung für mehr Effizienz und weniger Emissionen im Betrieb einer Immobilie nur die eine Seite. Treibhausgasemissionen, die sich aus der Errichtung einer Immobilie ergeben, werden bei der Weiterverwendung der bestehenden Gebäudesubstanz ebenfalls deutlich eingespart. Denn mehr als die Hälfte der grauen Emissionen wird schon freigesetzt im Zuge der Errichtung eines Gebäudes. Schon allein deshalb muss man sich generell fragen, ob ein kompletter Abriss und ein Neubau überhaupt notwendig sind. Ein großer Teil der Emissionen entsteht bereits bei der Produktion der Materialien und beim Transport. Diese spart man teilweise ein, indem die vorhandenen Gebäude, Gebäudeteile oder Baustoffe wieder- oder weiterverwendet werden, zum Beispiel  durch den Einsatz von Recyclingbeton oder wenn man tragende Strukturen weiternutzt. So werden kostbare Ressourcen nicht verschwendet und es lässt sich viel Abfall vermeiden.

 

Zirkuläres Bauen für mehr Nachhaltigkeit beginnt mit der Planung

Das Wiederverwenden von Baustoffen funktioniert aber nur, wenn das überhaupt technisch möglich ist und die Gebäudekomponenten beziehungsweise die Materialschichten trennbar sind. Ein klassisches Beispiel sind Wärmedämmverbundsysteme, die für den Großteil der Bestandsgebäude in Deutschland im Wohnbereich verwendet werden. Diese sind zwar ökonomisch und bauphysikalisch effizient, jedoch ökologisch schlecht. Denn die unterschiedlichen Schichten, aus denen Wärmedämmverbundsysteme bestehen, sind nicht trennbar und müssen bei einem Gebäudeabriss entsorgt oder thermisch behandelt werden. Es gibt bereits andere Systeme, welche die Verkleidung von der Dämmung trennen, sodass diese Komponenten rezykliert werden können. Einfacher und effizienter wäre es, eine spätere sortenreine Trennung von Anfang an mitzudenken – bereits bei der Projekt- und Materialkonzeption. Schon in der früheren Leistungsphase sollte im Sinne des Kreislaufs geplant werden. Dazu gehört der Einsatz von Materialien und Komponenten, die nach der Nutzungsphase der Immobilie wiederverwendet werden können. So hat man den großen Vorteil, dass nicht alle Materialien neu produziert werden müssen und im Kreislauf verbleiben.

Dieses zirkuläre Bauen ist nicht neu, gewinnt aber zunehmend an Bedeutung durch die Knappheit von Rohstoffen, Lieferengpässe, steigende Materialkosten und das zunehmende Abfallaufkommen. Das ressourcenschonende zirkuläre Bauen ist noch lange kein Standard in der Immobilienbranche, birgt aber große Potenziale. Ein Konzept der Kreislaufwirtschaft ist das „Urban Mining“, das heißt, dass man das bebaute Umfeld beziehungsweise ein bestehendes Gebäude als eine Art Rohstofflager sieht. Bevor etwas Neues hergestellt wird, schaut man, was es bereits in der bebauten Umgebung gibt, das wiederverwendet werden kann, egal ob die Materialien noch aktiv genutzt oder erst in absehbarer Zukunft freigesetzt werden. Dieser Bereich ist zwar noch am Anfang der Entwicklung, bietet aber ebenfalls große Chancen für Ressourcenschonung und Klimaschutz.

 

Fazit

Es hat sich in der Immobilienbranche zwar bereits einiges getan. Es ist allerdings noch ein Umdenken erforderlich, denn der Bestand sollte in den Fokus rücken. Dieser bietet das größte Handlungspotenzial, nicht nur für mehr Klimaschutz, sondern auch zur Einsparung von Ressourcen, Material- und Energiekosten sowie zum Werterhalt der Gebäude. Immobilienunternehmen und Baufirmen müssen sich dessen noch bewusster werden und sich alternativen Möglichkeiten öffnen. Materialien und deren Recycling sollten genauer begutachtet werden. Zudem ermöglichen innovative digitale Technologien eine smarte Gebäudeoptimierung – sowohl in der Nutzung (z. B. durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz) als auch in der Planung und beim Rückbau (z. B. mittels digitaler Materialkataster mit Informationen über verbaute Ressourcen). Das Sanieren und das Upcycling des Bestands sind Investitionen in die Zukunft und eine noch unterschätzte Chance der nachhaltigen Transformation der Immobilienbranche.

 

[1] Bauen und Sanieren – Deutsche Energie-Agentur (dena)

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