Zum Hauptinhalt springen

»Wir stellen uns die Frage, was im Jahr 2030 sein wird und welche Schritte wir schon heute gehen. VUCA gibt uns das analytische Gerüst.«

Jochen Schenk

Vorstandsvorsitzender der Real I.S. AG

Wir verstehen die VUCA-Welt als Chance

Inflation, Zinswende, Digitalisierung, eine sich schnell verändernde Arbeitswelt – unsere Zeit steckt voller Herausforderungen, aber auch Chancen. Seit einigen Jahren arbeiten Unternehmen anderer Branchen bereits mit dem Begriff VUCA und der Notwendigkeit von Transformationen. Für die Immobilienbranche ist dieser Ausdruck allerdings noch nicht gängig, hängt sie doch traditionell mit Transformationen etwas hinterher. Die Abkürzung VUCA kommt aus dem Englischen und steht für die Begriffe volatility, uncertainty, complexity sowie ambiguity (Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit) und beschreibt schwierige Rahmenbedingungen. Diesen ist auch unsere Branche nicht zuletzt durch Corona, steigende Bau- und Finanzierungskosten sowie zunehmende ESG-Anforderungen ausgesetzt. Der Handlungsdruck ist groß, aktiv zu werden und auch in bewegten Zeiten Chancen zu identifizieren und zu nutzen sowie einen Transformationsprozess überhaupt in Gang zu setzen.

In unserem Unternehmen verwenden wir das VUCA-Modell seit mehr als einem Jahr. Wir steuern damit unsere eigene Transformation. Mit diesem analytischen Werkzeug wollen wir Antworten auf die Frage finden, wie wir als Unternehmen die Zukunft aktiv gestalten wollen.

Dabei definieren wir Transformation als Weiterentwicklung, um erfolgreich zu bleiben. Ich greife dabei gerne ein Bild aus der chinesischen Sprache auf, in der abstrakte Begriffe häufig aus zwei Wörtern zusammengesetzt sind. Das erste Zeichen steht für Gefahr, während das zweite Chance symbolisiert. Diese Chance gilt es zu ergreifen.

Dabei ist es wichtig, die mit dem VUCA-Modell einhergehende Beschäftigung unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als Prozess im Unternehmen zu verankern. Das haben wir bei Real I.S. bereits getan. Denn wir sind uns einig: Die Zukunft ist anders. Wir stellen uns die Frage, was im Jahr 2030 sein wird und welche Schritte wir schon heute gehen. VUCA gibt uns das analytische Gerüst.

VUCA ist für uns kein Schönwetterpanel, sondern ein echtes Transformationsprogramm. Wir brechen die Themen der Zukunft auf unsere Organisation herunter. Bewusst führen wir deshalb Gruppen zusammen, um Agilität zu ermöglichen und weil sich die Rahmenbedingungen verändert haben.

Mit Blick auf die Jahre bis 2026 haben wir bereits vier Initiativen – Act Digital, Working Next Level, Act Sustainable und Create Experience – gegründet. Sie werden maßgeblich von Mitarbeitern verantwortet. Denn jede Transformation ist auch ein Mindset-Thema. Grundsätzlich mögen Menschen Unsicherheit nicht. Deshalb ist es wichtig, sie auf dem Weg der Transformation mitzunehmen.

»In unserem Unternehmen verwenden wir das VUCA-Modell seit mehr als einem Jahr. Wir steuern damit unsere eigene Transformation. Mit diesem analytischen Werkzeug wollen wir Antworten auf die Frage finden, wie wir als Unternehmen die Zukunft aktiv gestalten wollen.«

»In unserem Unternehmen verwenden wir das VUCA-Modell seit mehr als einem Jahr. Wir steuern damit unsere eigene Transformation. Mit diesem analytischen Werkzeug wollen wir Antworten auf die Frage finden, wie wir als Unternehmen die Zukunft aktiv gestalten wollen.«

Vuca und die Zeitenwende

In vielen Köpfen ist das Bild der sogenannten Zeitenwende aktuell sehr präsent. Dabei prägen tiefgreifende strukturelle Veränderungen das Leben seit dem Übergang von Agrar- in Industriegesellschaften kontinuierlich seit der ersten industriellen Revolution. Mittlerweile zählen Wirtschaftshistoriker die vierte industrielle Revolution, eingeleitet am Ende des vergangenen Jahrhunderts durch erste Ansätze der intelligenten Vernetzung von Menschen und Maschinen in arbeitsbezogenen Abläufen mit Hilfe von Informations- und Kommunikationstechnologie.

Und hier wird es in zweifacher Hinsicht spannend: Denn mit jeder industriellen Revolution hat sich das Tempo der Umwälzungen beschleunigt. Deshalb bin ich überzeugt: Die von vielen Menschen mit einer gewissen Skepsis wahrgenommene Unsicherheit bezüglich der Auswirkungen der Digitalisierung im Zuge der laufenden vierten industriellen Revolution wird in immer rascherer Abfolge Konsequenzen für unsere Arbeitswelt mit sich bringen. Es liegt an uns, diese Entwicklungen zu erkennen und mitzugestalten statt innezuhalten.

Zum anderen ist die aktuell laufende vierte industrielle Revolution dabei, die Wahrnehmung, die mittlerweile durch die Digitalisierung das Mindset jedes Einzelnen von uns bestimmt, in zwei große räumliche Sphären aufzuteilen. Den Westen und China. Bereits im Jahr 2010 hatte die US-Sprachforschungsgesellschaft American Dialect Society „googeln“ zum Wort des Jahrzehnts gekürt. Rund zehn Jahre später spielt Google aber in China so gut wie keine Rolle mehr. Konzerne, darunter Alibaba, Baidu und Tencent, bestimmen die Wahrnehmung rund eines Fünftels der Weltbevölkerung.

Da aber unser aller Denken vom Zugang zu Informationen entscheidend geprägt wird, steuern wir auf eine Welt zu, in der es künftig keine gleichzeitige Wahrnehmung des Gleichen mehr geben wird. Entwicklungen mit globalen Folgen (z.B. Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg) und deren unterschiedliche Wahrnehmung in der Öffentlichkeit im Westen und in China lassen bereits in Ansätzen erahnen, wie unterschiedlich Menschen auf Basis der ihnen verfügbaren Informationen ihre Lebenswirklichkeit wahrnehmen.

Auf unser Unternehmen bezogen bündeln wir in den oben genannten vier Initiativen bereits den Transformationsprozess, mit dem Ziel, unser Unternehmen auf die zukünftigen Kundenbedürfnisse auszurichten. In Konturen lässt sich bereits erkennen, wohin die Reise geht. Ich erwarte, dass Kundenanfragen in wenigen Jahren von Chatbots bearbeitet werden. Wertpapierportfolios werden über die Blockchain verwaltet werden. Die Orderabwicklung und Wertpapierverwaltung und -verwahrung über Wertpapierdepots wird es zum größten Teil weder im institutionellen Geschäft noch im Retail-Segment in der bisherigen Form noch geben. Ob Informationen zu Grundstücken noch im klassischen Grundbuch eingetragen werden, ist ebenfalls offen. Beispiele aus anderen Ländern zeigen auch da, welche Änderungen unter Anwendung der Möglichkeiten von Digitalisierung bereits in den Alltag Einzug halten.

Nach diesen Ausblicken, die uns exemplarisch eine kundenzentrierte Sicht eröffnen auf zukünftige Chancen, die es zu ergreifen und gestalten gilt, will ich an dieser Stelle auf einige Initiativen eingehen, wo wir als Organisation bereits einen Schritt weiter sind und mit Nachdruck Maßnahmen neu aufsetzen und in bestehende Abläufe integrieren.

Für fast alle unserer Immobilien erstellen wir Energieaudits und leiten daraus Maßnahmen auf Objektebene ab, um Konformität mit den Pariser Klimapfad zu erreichen. Wir haben die Deepki Ready Plattform als zentralen Ort für die Erfassung und Analyse der ESG Verbrauchsdaten eingeführt.

Wir haben Pilotprojekte gestartet für die aktive Dekarbonisierung des Portfolios, indem wir die seit 2021 laufende Zusammenarbeit mit unserem Partner Recogizer im Bereich KI-basierter Anlagesteuerung vertiefen und den Energieverbrauch in unserem internationalen Portfolio signifikant reduzieren. Wir haben einheitliche Green Leases Klauseln definiert, welche in allen neunen Mietverträgen integriert werden. Wir haben unseren ersten Nachhaltigkeitsbericht veröffentlicht und bereiten die zweite Ausgabe derzeit vor.
Wir engagieren uns in der Social Impact Initiative des ICG (Institut für Corporate Governance in der Immobilienwirtschaft) zur Definition von Messkriterien des S. Damit tragen wir dazu bei, dass in die soziale Komponente (S) bei der Erarbeitung von ESG-Kriterien aktuelle Entwicklungen und Anforderungen Eingang finden.

Digitalisierung wiederum nimmt bei uns alle Teile der Wertschöpfungskette der Real I.S. in den Blick und umfasst darüber hinaus auch die Schnittstellen in der Zusammenarbeit mit den Dienstleistern.

Unternehmerische Gestaltungsmacht

Die Unsicherheit wird nicht aufhören, sondern über Jahrzehnte Bestand haben. Die Digitalisierung ist dauerhaft und wird sich eher noch weiter beschleunigen. Die Gestaltungsmacht indes bleibt – wie seit jeher – bei uns als Unternehmerinnen und Unternehmer mit Blick auf die sich verändernden Kundenbedürfnisse ebenso wie auf sich ergebende Marktchancen.