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August 2022

Deutscher Einzelhandelsmarkt – Nahversorger, systemrelevant & krisenresistent!

Der Einzelhandel befindet sich seit längerem in einem Strukturwandel. Allerdings erfordert die unterschiedliche Entwicklung in den einzelnen
Sub-Segmenten eine differenzierte Betrachtung. Es zeigt sich, dass sich systemrelevante Nahversorger immer weiter von klassischen aperiodischen Handelskonzepten (Textilien, Bekleidung, Schuhe und Lederwaren) abkoppeln. Während letzteres Segment besonders durch den boomenden Online-Handel stärker gelitten hat, haben Nahversorger (Nahversorger für Produkte des täglichen Bedarfs, die im näheren Wohnumfeld zu kaufen sind.) eine durchaus positive Entwicklung verzeichnet. Die Pandemie hat diesen Trend nochmals verstärkt.

Auch im aktuellen Umfeld des Russland-Ukraine-Konflikts ist davon auszugehen, dass der Lebensmitteleinzelhandel gegenüber dem aperiodischen Einzelhandel weniger stark betroffen ist. Der Preis- und Zinsanstieg sowie die wachsende Unsicherheit haben die Stimmung der Konsumenten jüngst deutlich eingetrübt. Umfragen zeigen, dass Einsparungen bei den Einzelhandelsausgaben zunächst im aperiodischen Segment zu erwarten sind, während Ausgabenkürzungen bei Lebensmitteln nur bedingt möglich sind.

Deutlicher Anstieg des Transaktionsvolumens bei Nahversorgern

Seit dem letzten Rekordumsatz des Investmentvolumens im Einzelhandel im Jahr 2015 mit rund 18,5 Mrd. Euro, ist das Transaktionsvolumen um rd. 50 % zurückgegangen und lag in 2021 bei 8,7 Mrd. Euro. Im selben Zeitraum ist der Anteil des Lebensmitteleinzelhandels an den Gesamtinvestitionen (Auswertung basiert nur auf berichteten Transaktionen und spiegelt nicht das gesamte Investmentvolumen wider) in Einzelhandelsimmobilien von rund 13 % auf 50 % angestiegen, während das Transaktionsvolumen von Shopping-Centern anteilig von 22 % auf 12 % gefallen ist (siehe Abbildung 1). Dies verdeutlicht die Verschiebung der Präferenzen von Investoren innerhalb der Einzelhandelssektoren vom aperiodischen hin zum Lebensmitteleinzelhandel. Was sind die Gründe dafür?

Systemrelevante Nahversorger zeigen eine höhere Stabilität bei Einzelhandelsausgaben

Der Lebensmitteleinzelhandel ist für einen erheblichen Anteil der Einzelhandelsausgaben (Einzelhandelsausgaben für Lebensmittel entlang aller Absatzmärkte –  Supermärkte, Discounter, Online-Handel mit Lebensmitteln, Wochenmärkte etc.) verantwortlich - im Durchschnitt der letzten fünf Jahre für rund 42 % (rund 225 Mio. Euro). Allerdings hat das höhere verfügbare Einkommen in den letzten Jahren dazu geführt, dass der Ausgabenanteil für Lebensmittel gesunken ist und für aperiodische Grüter zugenommen hat (Quelle: PMA). Dieser Trend hat sich in der Pandemie umgekehrt. Während Geschäfte des aperiodischen Bedarfs überwiegend geschlossen blieben, waren systemrelevante Nahversorger von Ladenschließungen ausgenommen und dementsprechend die Einzelhandelsausgaben in diesem Segment höher. Aufgrund der geopolitischen Unsicherheiten, mit denen eine höhere Inflationsrate und ein schwächeres Wirtschaftswachstum einhergehen, hat sich die Konsumlaune eingetrübt und lag im Juli auf einem Rekordtief (Quelle: GfK). Durch die höheren Ausgaben für Energie und Lebensmittel verringert sich die Kaufkraft der finanziellen Mittel, wovon auch die Einzelhandelsausgaben betroffen sind. Dies zeigt sich in Abbildung 2 anhand einer Umfrage des Marktforschungsinstituts Mintel von März 2022. Dabei planen Haushalte in den nächsten Monaten die größten Kürzungen im aperiodischen Bereich (Textilien, Bekleidung, Möbel und Servicedienstleistungen), wohingegen Einsparungen im Lebensmitteleinzelhandel geringer bewertet wurden (siehe Abbildung 2). Dem kommt zugute, dass Güter des täglichen Bedarfs weniger Spielraum für Ausgabeneinsparungen zulassen. Dies unterstreicht erneut die Resilienz des Lebensmitteleinzelhandels.

Attraktives Mietwachstum bei Nahversorgern

Die Resilienz des Lebensmitteleinzelhandels zeigt sich auch an der positiven Entwicklung der Mieten. Während die Mieten für Shopping-Center (-13,6 %), Fachmarkt-Center (- 1 %) und in 1-A Lagen (-2,9 %) im ersten Coronajahr 2020 rückläufig waren, verzeichneten Nahversorger ein Mietwachstum von rund 2 %. In 2021 konnten Nahversorger mit 2,8 % sogar das stärkste Mietwachstum der letzten 15 Jahre erzielen und damit ihre Krisenfestigkeit unter Beweis stellen (siehe Abbildung 3). Ebenso konnten lebensmittelgeankerte Fachmarktzentren eine bessere Mietperformance als konventionelle Shopping-Center und Geschäfte in 1-A-Lagen erzielen. Auch über den Prognosezeitraum bis 2026 wird für Nahversorger die beste Mietperformance erwartet. 

Geringe Durchdringung des Online-Handels bei Nahversorgern

Insgesamt hat der Einzelhandelsumsatz in den letzten Jahren zugenommen, allerdings wurde dieses Wachstum vor allem durch den Online-Handel getrieben. Ende 2021 lag der Anteil des Online-Handels am gesamten Einzelhandel in Deutschland bei rund 13,2 % ­- dies entspricht einem Anstieg um rund 8,6 Prozentpunkte über die letzten zehn Jahre. Besonders der aperiodische Einzelhandel weist mit 35 % einen hohen Online-Anteil auf. Bis 2026 soll dieser weiter auf 53 % zunehmen (Quelle: PMA).

Während die Online-durchdringung im aperiodischen Einzelhandel damit im zweistelligen Prozentbereich liegt, ist der Online-Anteil im Lebensmitteleinzelhandel mit nur 2,5 % weitaus geringer ausgeprägt (Quelle: PMA). Im europäischen Kontext ist Deutschland damit eines der Länder mit der geringsten Online-durchdringung im Lebensmitteleinzelhandel. Zum Vergleich: In Großbritannien liegt der Anteil bei über 10,8 %. Zu begründen ist dies für Deutschland durch das vergleichsweise dichte Versorgungsnetz mit Lebensmittelläden, die geringere Anzahl von Click & Collect Konzepten sowie dem spezifischen Einkaufs- bzw. Konsumverhalten der Deutschen (Konsument will frische Lebensmittel sehen/fühlen). Zudem ist das Online-Angebot großer Handelsketten (Rewe, Edeka, Aldi) bisher in Deutschland noch relativ gering ausgeprägt (IFH Köln). Auch wenn weitere Online-Lieferdienste wie Gorillas, Flink oder Picnic auf den Markt drängen und in zahlreichen deutschen Städten expandieren, ist die flächenmäßige Abdeckung insgesamt noch niedrig (Fokus auf den Großstädten). Über die nächsten Jahre wird zwar mit einer Zunahme des Online-Handels gerechnet, allerdings soll der Anteil am Lebensmitteleinzelhandel aufgrund der genannten Gegebenheiten in Deutschland auch in der Prognose bis 2026 nur moderat auf 3,6 % ansteigen (Quelle: PMA). Insgesamt ist die Resilienz von Nahversorgern in Deutschland somit auch das Resultat einer geringeren Online-Durchdringung des Lebensmitteleinzelhandels.

Fazit: Nahversorger stellen als krisenresiliente Anlageklasse ein attraktives Investment dar

Systemrelevante Nahversorger haben sich während der Pandemie von aperiodischen Handelskonzepten abgekoppelt. Die einzelnen Sub-Segmente des Einzelhandels müssen daher in ihrer Entwicklung gesondert betrachtet werden. Während der aperiodische Einzelhandel vor allem durch den hohen Online-Anteil in seiner Performance gelitten hat, hat der Lebensmitteleinzelhandel eine höhere Resilienz und Stabilität gezeigt. In der Pandemie konnten Nahversorger ihren Anteil an den gesamten Einzelhandelsausgaben sogar weiter ausbauen und auch im aktuellen Umfeld ist davon auszugehen, dass das Segment von der eingetrübten Konsumlaune nur bedingt betroffen ist. Dies wiederum hat sich in einer positiven Mietentwicklung sowie in einem gestiegenen Investoreninteresse an der Einzelhandelsklasse der Nahversorger widergespiegelt.

Viele Grüße, Ihr Real I.S. Research-Team

Ihre Ansprechpartnerin

Luca Gudewill
Real I.S. AG
Research & Investitionsstrategie

luca.gudewill@realisag.de