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November 2022

Die Vervielfältiger-Krise

Zinsanstieg treibt Preisrückgang

Die gestiegenen Energiekosten haben die Zinslandschaft drastisch verändert. Die EZB hat bereits dreimal den Leitzins angehoben. Weitere Zinsschritte wurden avisiert. Die Renditen zehnjähriger Bundesanleihen haben die 2 %-Marke überschritten, die Einstände für Immobilienfinanzierungen (10-jährige Swapsätze) die 3 %-Marke. Der Anstieg der Zinsen zeigt sich auch in den Investmentmärkten für Immobilien: Die Preise für Gewerbe- und Wohnimmobilien sind in den letzten Monaten zurückgegangen. Drohen weitere Preisrückgänge?

Vervielfältiger unter Druck

Der Kaufpreis einer Immobilie ergibt sich vereinfacht dargestellt aus zwei Komponenten: Den Mieteinnahmen und dem Vervielfältiger. Dabei wird der Kaufpreis als Produkt aus Vervielfältiger und Mieteinnahmen ermittelt. Für eine moderne, vollvermietete Büroimmobilie in Top-Lage Münchens wird im Markt beispielsweise aktuell das 30-fache, also ein Vervielfältiger von 30 auf die Objektmiete als Kaufpreis aufgerufen. Dabei ergibt sich der Vervielfältiger durch Angebot und Nachfrage im Investmentmarkt für Immobilien und wird vor allem von der Entwicklung der Zinsen und der Konjunktur beeinflusst. Die Mieteinnahmen für ein Immobilienobjekt werden u.a. von der Entwicklung der Marktmieten und damit von Angebot und Nachfrage im Vermietungsmarkt determiniert. Wichtige Einflussfaktoren für den Vermietungsmarkt sind damit die Konjunkturentwicklung und hier insbesondere die Entwicklung der Beschäftigung.

Historischer Kaufpreisanstieg wurde stark durch den Vervielfältiger getrieben

Aktuell fallen die Vervielfältiger und damit auch die Kaufpreise für Immobilien. Maßgebliche Ursache hierfür ist der Zinsanstieg. Betrachtet man die letzten 12 Jahre seit der Finanzmarktkrise so sind die Vervielfältiger für Immobilien im Zeitraum 2009 bis 2021 als Ergebnis der sehr expansiven Geldpolitik der EZB deutlich angestiegen und haben in 2022 moderat korrigiert (siehe Abbildung 1). Der Preisanstieg für europäische Büroimmobilien lag bis Jahresende 2021 bei 150 % (kalkuliert auf Basis der Preisänderung einer fiktiven Immobilie in Top-Lage als Produkt von Spitzen-Vervielfältiger und Spitzen-Marktmiete). Dieser setzt sich aus einem Vervielfältigerwachstum von 90 Prozentpunkten und einem Anstieg der Marktmiete von 60 Prozentpunkten zusammen. Für das Jahresende wird eine moderate Korrektur erwartet (Rückgang um 11 Prozentpunkte auf 139 %). Im Vergleich hierzu war der Anstieg der Preise bei Logistikimmobilien im gleichen Zeitraum und für die gleiche Region etwas moderater (139 %), und war deutlich mehr durch das Wachstum des Vervielfältigers als durch das Marktmietwachstum geprägt (112 Prozentpunkte Vervielfältigerwachstum und 27 Prozentpunkte Marktmietwachstum).

Demzufolge hätten Logistikimmobilien infolge des aktuellen Zinsanstieges ein stärkeres Rückschlagpotential, da der Zinsanstieg sich insbesondere auf den Investmentmarkt und damit auf den Vervielfältiger auswirken müsste. Aktuell fallen die Preise für Logistikimmobilien aber moderater als die für Büroimmobilien (siehe auch die erwartete Entwicklung für das Jahresende 2022 in Abbildung 1 oben). Dies lässt sich aus dem aktuell stabileren Vermietungsmarkt für Logistikimmobilien ableiten.

Vermietungsmärkte als Stabilisator

Aktuell federn die stabilen Vermietungsmärkte und damit die Erwartungen für die Entwicklung der Marktmieten den Investmentmarkt gegen stärkere Preisrückgänge ab. Je nach Nutzungsart gibt es hierfür verschiedene Gründe:

  • Logistikimmobilien verzeichnen weiterhin Rekordumsätze beim Flächenumsatz und es gibt im Markt so gut wie keinen Leerstand zu verzeichnen. Neben dem Online Handel als Nachfragetreiber ist angesichts unsicherer globaler Lieferketten auch eine größere Vorratshaltung von Vorprodukten und Rohstoffen im Produzierenden Gewerbe notwendig, um die Produktionsabläufe aufrecht zu erhalten. Dies hat zu einer boomenden Nachfrage nach Lagerflächen geführt.
  • Der Vermietungsmarkt für Büroimmobilien profitiert - genauso wie der Wohnimmobilienmarkt - von der anhaltend hohen Beschäftigtennachfrage der Unternehmen. Trotz Rezessionsgefahren stellen viele Unternehmen weiter ein bzw. halten den Beschäftigtenstand stabil, um im Falle einer Wachstumserholung den Umsatz rasch wieder erhöhen zu können. Besonders gut ist dies am Beispiel Deutschlands zu sehen. Abbildung 2 zeigt die aktuell niedrige Arbeitslosenquote und den rückläufigen Trend dieser in den letzten Jahren, sowie die vergleichbare Entwicklung der Leerstandsraten im Büromarkt Deutschland (hier für die deutschen A-Städte im Durchschnitt dargestellt).

Ein weiterer Faktor stützt im Besonderen den Vermietungsmarkt für Büroimmobilien in Zentrumslagen. Einige Unternehmen versuchen über eine zentrumsnahe Lage ihrer Büroflächen ihren Beschäftigten mehr Anreize für Präsenzarbeit zu geben. Zentrumsnahe Lagen punkten mit einem sehr guten ÖPNV-Anschluss und einem sehr guten Gastronomie- und Einkaufsangebot. Infolge dieser Entwicklung gehen beispielsweise aktuell in den Top-Lagen der Großstädte Paris und London die Büroleerstandsraten entgegen dem Gesamtmarkttrend zurück.   

  • Der Vermietungsmarkt für Hotelimmobilien zeigt seit Beginn dieses Jahres eine überraschend robuste Entwicklung. Die Zimmerauslastung und die Zimmerpreise haben sich schrittweise wieder den Vor-Corona-Niveaus aus dem Jahr 2019 angenähert.
  • Der Handelsimmobilienmarkt zeigt zwar wieder deutlich höhere Besucherfrequenzen, die Umsätze liegen aber noch hinter den Vor-Corona-Niveaus zurück. Entsprechend verhaltener ist noch die Flächennachfrage der Einzelhändler. Der Sonderweg der Nahversorgungs- und Fachmarktzentren hält hingegen an, da insbesondere der Lebensmittelhandel weiterhin hohe Frequenzen und Umsätze verzeichnet.  
Ausblick und Strategie

Es ist davon auszugehen, dass das schwächere Wirtschaftswachstum die Vermietungsmärkte in den kommenden Monaten belasten wird. Trotzdem wirken die robuste Ausgangslage und die damit einhergehenden, niedrigen Leerstandsraten stabilisierend. Hinzu kommt, dass nicht wie im Jahr 2009 zu Zeiten der Finanzmarktkrise eine schwere Rezession für Europa erwartet wird, sondern ein vergleichsweise moderater Rückgang der Wirtschaftsleistung. In diesem Umfeld ist nicht mit einem Nachfrageeinbruch, sondern eher mit einer Abschwächung zu rechnen und folglich weniger mit einer Korrektur der Marktmieten als mit einer Seitwärtsentwicklung.

Investoren im risikoarmen Core-Segment können damit in den kommenden Quartalen wahrscheinlich mit relativ stabilen Mieteinnahmen (Cash-Flow-Renditen) aus Immobilieninvestments rechnen. Als Renditeplus kommt die Mietindexierung hinzu, die über die Koppelung der Vertragsmieten an die Entwicklung der Inflationsrate zu steigenden Cash-Flow-Renditen führen wird. Diese Effekte werden die Kaufpreisrückgange im Investmentmarkt begrenzen.

Risikoaversere Investoren werden in diesem Marktumfeld die Sicherheit in den Segmenten Wohnen, Logistik und Büro in Zentrumslagen bevorzugen, risikofreudigere Investoren hingegen die Opportunitäten im Hotel- und Handelsimmobilienmarkt bei Anfangsrenditen über 4 % nutzen.   

Viele Grüße, Ihr Real I.S. Research-Team

Ihr Ansprechpartner

Marco Kramer
Real I.S. AG
Research und Investitionsstrategie

marco.kramer@realisag.de