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März 2022

Groß, größer, Grand Paris

Städteanalyse: Wo entstehen neue Potentiale durch
Stadt- und Infrastrukturentwicklung?

Mit über 2,15 Mio. Einwohnern zählt Paris zu den größten Städten der Europäischen Union. Der Großraum Paris ist mit über 12,5 Mio. Menschen die größte Metropolregion der EU. Auch hinsichtlich der Marktkennziffern liegt Paris im Vergleich zu anderen europäischen Großstädten weit vorne (siehe Übersicht unten). Paris ist das politische, wirtschaftliche sowie kulturelle Zentrum Frankreichs. In der Rangliste der wichtigsten Finanzzentren (GFCI) belegte Paris in 2021 europaweit den siebten Platz. Mit sechs Kopfbahnhöfen bildet die Hauptstadt zudem den größten Verkehrsknotenpunkt des Landes. Das Hochgeschwindigkeitsschienennetz bietet schnelle und häufige Verbindungen von der Region Paris in alle großen europäischen Städte, einschließlich London, Brüssel, Amsterdam und Genf. Das über 220 km lange und 16 U-Bahnlinien umfassende Netz der Métro ist eines der größten der Welt. Darüber hinaus zählt Paris mit vier internationalen Flughäfen neben London und New York zu den größten Luftdrehkreuzen weltweit.

Grand Paris Express – größtes Verkehrsprojekt Europas zur grundlegenden Neugestaltung des öffentlichen Nahverkehrs

Paris platzt aus allen Nähten. Um dem akuten Platzmangel entgegenzuwirken, befindet sich die französische Hauptstadt seit 2010 im Rahmen des Großprojektes Grand Paris in einer umfassenden städtischen Umgestaltung, die über 10 % bzw. fast 1.000 Hektar der städtischen Fläche umschließt. Mit insgesamt 300 Baustellen handelt es sich dabei um das größte Stadtentwicklungsprojekt Europas, im Zuge dessen umfangreiche Flächen zum Wohnen und Arbeiten entstehen sollen. Der Kerngedanke von Grand Paris ist, die Stadt besser mit ihrer Region zu vernetzen und damit das Verkehrssystem und den Immobilienmarkt des Pariser Zentrums zu entlasten.

Zwar ist im Rahmen der Bautätigkeit im Stadtgebiet von einer weiteren baulichen Verdichtung auszugehen. Das wichtigste Ziel von Grand Paris besteht aber in einer effizienteren Lenkung der Verkehrsströme, wodurch die enormen Pendlerverkehre, die tagtäglich in die Stadt oder durch sie hindurch strömen, besser in der Region verteilt werden. Die wirtschaftliche Aktivität und damit auch die Flächennachfrage soll partiell aus Paris in die Vorstädte gelenkt werden, die sich dadurch zu eigenen, kleinen Wirtschaftszentren entwickeln könnten.

Im Zuge des Infrastrukturprojektes Grand Paris Express wird bis 2030 das bestehende Streckennetz um 68 neue U- bzw. S-Bahnhöfe und 200 km Schienenwege (davon 90 % unterirdisch) erweitert, was einer Verdopplung des bisherigen Netzes entspricht – die Investitionskosten sollen sich auf mindestens 35 Mrd. Euro belaufen. Zusammen werden vier neue Métrolinien (Linien 15, 16, 17 und 18) eine Ringbahn um Paris bilden, wodurch eine Verkürzung der Fahrtzeiten innerhalb der Region erreicht wird, und dies nicht nur zwischen den Vororten, sondern auch vom Umland zu den Fernbahnhöfen und zu den Flughäfen. Im Umfeld der neuen U-Bahnstationen entstehen diverse Stadtquartiere und Bürokomplexe. Der High Tech- und Innovations-Hub Paris-Saclay im Südwesten, der Stadtteil Les Groues im Nordwesten und der Biotechnologie-Hub im Süden von Paris (alle drei Teilräume sind in nachfolgender Karte orange markiert) sind dabei derzeit besonders interessante Potentialräume, die im nächsten Abschnitt näher erläutert werden.

Top 3 Potentialräume

High Tech & Innovation

Technologie- und Wissenschaftspark Paris-Saclay gilt mit über 5 Mio. m² Bürofläche und rd. 430 Tsd. Beschäftigten als weltweit bedeutendes Forschungscluster und beherbergt heute viele der größten europäischen Hightech-Unternehmen. Im Rahmen des Großprojektes Urban Campus entstehen bis 2025 weitere 450 Tsd. m² Bürofläche. Aufgrund der peripheren Lage verfügen große Teile des Gebietes bislang nur über eine Bus-Anbindung. Durch die neue Linie 18, die künftig den Flughafen Orly mit Versailles-Chantiers innerhalb von 30 Min. verbinden wird, sollte sich die ÖPNV-Anbindung bis 2030 deutlich verbessern. Eine westlicher Streckenverlauf zwischen Versailles-Chantiers und Nanterre La Folie ist noch in Diskussion.

Les Groues

In unmittelbarer Nähe des Geschäftszentrums von La Défense, nördlich der neuen U-Bahnstation Nanterre La Folie (Fertigstellung 2030), ist ab 2023 die städtebauliche Entwicklung des neuen Stadtteils Les Groues für fast 12.000 neue Einwohner und ebenso viele Arbeitsplätze geplant. Auf insgesamt 63 ha soll ein gemischt genutztes Stadtquartier mit 225 Tsd. m² Bürofläche, 340 Tsd. m² Wohnfläche und 65 Tsd. m² für Geschäfte, Dienstleistungen und private/ öffentliche Einrichtungen entstehen. Das Gesamtprojekt wird bis 2030 von der neuen Linie 15 des Grand Paris Express profitieren. Die Fahrtzeit zu den Flughäfen Charles de Gaulles und Orly soll sich durch die verbesserte Anbindung auf ca. 35 Minuten halbieren.

Biotechnologie

Das Gesundheitscluster im Süden von Paris hat das Ziel, sich als internationales Referenzgebiet im Bereich der Biowissenschaften zu etablieren. Mit der Entwicklung des Campus Grand Parc im Umfeld des neuen Umsteigebahnhofs Institut Gustave Roussy sind 150 Tsd. m² Bürofläche geplant. Der Campus wird ab 2024 bzw. 2025 von den Linien 14 und 15 des Grand Paris Express bedient und wird eine schnellere Anbindung an das Pariser Zentrum im Norden und Saclay im Südwesten bieten. Weitere 365 Tsd. m² Bürofläche sind mit den Projekten Seine Gary Vitry und Gare des Ardoines, als Teil des entstehenden Stadtquartiers Les Ardoines, nahe der gleichnamigen neuen U-Bahnstation (Fertigstellung 2025), in der Pipeline.

Neue Métrolinien sollen Entwicklungsimpulse für die Außenbezirke bringen

Durch den umfangreichen Ausbau des U-Bahnnetzes bis 2030 wird die Erreichbarkeit vieler Hauptbüromärkte in Paris noch verbessert. Paris CBD, der Büroteilraum mit dem größten Flächenbestand, sowie La Défense und Paris WBD werden zukünftig von den Linien 14 und 15 des Grand Paris Express mit den neuen Querverbindungen profitieren.

Allerdings ist ein großer Anteil des Büroflächenbestandes im Raum Paris heute nicht mehr zeitgemäß – etwa 40 % aller Bürogebäude sind älter als 25 Jahre. Insbesondere in den begehrten Lagen im Pariser Westen – zwischen dem zweiten Arrondissement und dem Hochhausviertel La Défense – herrscht ein akuter Mangel an modernen Büroflächen. Immer mehr Unternehmen weichen deshalb in Richtung der Vorstädte aus. Dies kann sich lohnen, denn viele der neuen Immobilienprojekte im Zusammenhang mit Grand Paris konzentrieren sich auf die neu entstehenden Knotenpunkte um die Stadt. Auch dezentral gelegene Gebiete wie der Digital- und Kreativwirtschaft-Hub im Norden (Plaine Commune: Pleyel und Saint Denis) und die Nachhaltige Stadt im Westen (Marne-la-Vallée, siehe grün markierte Teilräume in der Übersichtskarte auf Seite 2) sollten ihr Entwicklungspotential durch den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs weiter entfalten und eine sichtbare Aufwertung erfahren.

Alleine im Rahmen privater Initiativen sind derzeit im Großraum Paris Immobilienprojekte im Wert von über 7,2 Mrd. Euro geplant, die über 2,1 Mio. m2 Arbeitsfläche für rund 50 Tsd. Beschäftigte bieten werden. Inklusive der neuen U-Bahnstrecken und weiterer Investitionskosten für die Modernisierung und Erweiterung bestehender Linien durch den Verkehrsverbund des Großraums Paris (STIF) wird das Gesamtvolumen für Grand Paris auf 70 bis 80 Mrd. Euro geschätzt.

Fazit: Grand Paris als Grundlage für eine polyzentrische Entwicklung der Metropolregion Paris

Paris ist mit einem Büroflächenbestand von 18,4 Mio. m² der zweitgrößte Büromarkt im Euroraum. Als internationales Wirtschafts-, Finanz- und Handelszentrum hat ein Großteil der französischen Banken und Versicherungskonzerne sowie die französische Börse ihren Sitz an der Seine. Daneben sind zahlreiche ausländische Konzerne mit Niederlassungen in Paris vertreten. Dabei weist die Region Paris die meisten Fortune-500-Firmensitze und das höchste BIP in ganz Europa auf.

Der Ausbau des Nahverkehrs wird die innerstädtische Erreichbarkeit erheblich verbessern und dadurch eine polyzentrische Entwicklung unterstützen. Neben den städtebaulichen Impulsen sind für die französische Hauptstadt im Zusammenhang mit Grand Paris aber noch weitere positive Effekte zu erwarten: So wird Paris auch als Wirtschaftsstandort noch weiter an Attraktivität gewinnen. Nach dem Brexit liegt Paris im Ringen um das Trading-Geschäft gegenüber Frankfurt und Amsterdam derzeit vorne und kommt damit dem Ziel, das wichtigste Handelszentrum der EU zu werden, immer näher. Im Zuge der Standortverlagerung vieler Unternehmen von London an andere EU-Standorte wird auch die Nachfrage nach Wohnraum für deren Angestellte erwartungsgemäß deutlich ansteigen. Laut einer Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young könnten nach dem Brexit rund 50 Tsd. Gutverdiener-Familien von London nach Paris umsiedeln. Um den dafür dringend benötigten Wohn- und Arbeitsraum zu schaffen, ist die grundlegende Neugestaltung des öffentlichen Nahverkehrs für eine bessere Vernetzung von Paris mit seinen Außenbezirken somit von grundlegender Bedeutung.

Viele Grüße, Ihr Real I.S. Research-Team

Ihr Ansprechpartner

Julian Truxa
Real I.S. AG
Research & Investitionsstrategie

julian.truxa@realisag.de